Hey 20, ich bin’s: 36. // Was ich meinem 20-jährigen Ich heute sagen würde.

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Aus dem Alltag einer Mitte Dreißigjährigen Mama: Wenn man in der Kinderabteilung krampfhaft und gestresst nach halbwegs annehmbaren Hosen und Shirts für die siebenjährige Tochter sucht, eigentlich für sich selbst mal gern wieder was kaufen würde, dann entnervt aufgibt, weil das Kind zu groß für die Kinderabteilung, aber zu jung für die Teenieklamotten ist, der Rücken schmerzt, weil das kleine Kind wiedermal die ganze Nacht dagegen getreten hat und man sich generell wie 80 fühlt. Wenn man dann in der Teenieabteilung ein Shirt sieht, das man gern selber tragen würde, es in Größe 170 (!) anprobiert und das Shirt wider erwarten passt. Dann fühlt man sich plötzlich wieder kurz wie 20. Also fast. Ich hab neulich dieses Shirt tatsächlich in der Teenieabteilung entdeckt und fand es witzig. Dass es mir (Größe 40/42) passt, grenzt an ein kleines Wunder. Banal, ich weiß, aber ich hab mich gefreut. Und im nächsten Moment darüber nachgedacht, wie das war, so mit 20. Was würde ich meinem 20-jährigen Ich sagen, wenn ich das Mädel heute treffen würde?

Mit 36 ist man nun mal nicht mehr 20. Ist irgendwie klar. Besonders deutlich wird das zumindest mir immer dann, wenn ich wieder mal auf die geniale Idee komme, bis morgens um 4 Uhr um die Häuser zu ziehen – Mutti hat Ausgang und macht einen auf Twentysomething. Zugegeben, das passiert nicht oft, aber wenn, dann tut es richtig weh. Am nächsten Tag, Und am Tag darauf noch immer. Das ist schon mal ein deutlicher Unterschied zu 20. 36 hält sowas nicht mehr aus. 36 ist noch Tage nach so einer Nacht k.o. Ich sehe förmlich, wie mich mein 20-jähriges “Ich” in solchen Momenten auslacht. Gut, sie weiß es nicht besser. Sie weiß noch nicht, wie es ist, Mama zu sein. An chronischem Schlafmangel zu leiden. Sich an manchen Tagen eher wie 136 als 36 zu fühlen, weil alles anstrengend ist und das ständig. Sie weiß noch nicht, dass sie sich in 16 Jahren mal fragen wird: “Was hab ich eigentlich mit 20 den ganzen Tag gemacht, außer studieren, feiern und nebenbei arbeiten?” Mein 20-jähriges Ich weiß es noch nicht, wie das sein wird, wenn man nicht mehr schnell mal ein paar Kilos verliert, bloß weil man mal ein paar Abende auf low carb macht. Sie weiß es einfach noch nicht. Was 20 aber auch noch nicht weiß, ist, wie oft 36 ihre beiden Töchter und ihren Mann ansieht und denkt “Verdammt, was hab ich Glück gehabt.” Wie wäre das wohl, wenn sich 20 und 36 heute treffen. Was würde ich meinem jüngeren Ich sagen?

2001 war das neue Millenium noch jung. Ich auch. Ich war 20, studierte, war unheimlich schwer verliebt, wurde unheimlich stark verletzt von meiner großen Liebe. Und das am Tag von 9/11. Bähm. Flugzeuge knallen in Hochhäuser. Hochhäuser stürzen ein. Meine kleine rosarote Welt auch. Damals dachte ich wirklich, ich würde nie über meinen Liebeskummer wegkommen, konnte mir schon gar nicht vorstellen, jemand anderen zu finden. Mein Gott, war ich jung! 20 konnte ja nicht wissen, dass sie genau in diesem Jahr auch ihre richtig große Liebe, den zukünftigen Vater ihrer Kinder kennenlernen würde. Hätte ich es ihr gesagt – sie hätte es mir wahrscheinlich nicht geglaubt. Könnte ich diesem jungen Mädel heute etwas sagen, wären das bestimmt viele Dinge.

“Nimm nicht alles so ernst. Sei nicht so streng mit dir. Glaub mir, du bist genug, so wie du bist. Versuch nicht immer, so perfekt wie deine älteren Geschwister zu sein. Keiner ist perfekt und du bist du, das ist okay. Vertrau ruhig auf dein Bauchgefühl – es hat meistens recht. Sag nicht, dass du sicher nie Mutter wirst, nur weil du insgeheim denkst, du kannst das nicht. Du wirst es gut machen, glaub mir. Ach ja und – überleg nicht länger, ob du gut genug bist, Gesangsunterricht zu nehmen. Mach es einfach. Du wirst es später bereuen, dass du nicht früher, den Mut dazu aufgebracht hast.”

20 würde mir bestimmt nichts davon glauben. Sie war viel zu skeptisch und zynisch. Selbstschutz. Panzer. Außen cool und selbstbewusst, innen total unsicher und voller Selbstzweifel. Sie war übrigens blond. Blond! Nichts gegen blond, wirklich nicht. Aber selbst ich kann heute nicht mehr nachvollziehen warum 20 damals dachte, sie müsse sich die Haare heller machen. 2001 – das ist doch eine Ewigkeit her, findet ihr nicht auch? Alicia Keys saß am Klavier und jodelte mit Daft Punk, den Gorillaz und Crazy Town in den Charts um die Wette. Die USA starteten in den Krieg gegen den Terror, es war das Jahr von BSE und einem Rekordsommer. Babys hießen Niklas, Anna, Hannah, Leon, Sarah oder Tim und mir wurde mein viertes Fahrrad in meiner Studienzeit gestohlen.

Vor 16 Jahren war ich 20. Mitte 30 kam mir so wahnsinnig alt vor. Heute bin ich 36 und ich finds gut. Ich bin Mama, stehe im Berufsleben, bin mit meinem besten Freund verheiratet, bin Wohnungsbesitzerin und fühle mich gar nicht so spießig, wie ich das mal fand. Ich bin gelassener. Das ganz sicher. Nur um eine Sache beneide ich 20 manchmal: um die viele Freizeit. Zeit für mich. Davon könnte mir das Mädel gern was abgeben. Ansonsten bin ich angekommen. Komisch, das hier so hinzuschreiben. Aber ja, doch, ich bin angekommen. Das heißt nicht Stillstand, auch nicht Langeweile, sondern Entspanntheit. Ich brauche sie nicht mehr, die Rastlosigkeit von 20. Auch wenn 36 nicht perfekt ist, sie sich nicht von allen Selbstzweifeln und Unsicherheiten befreien konnte – sie ist doch glücklich. Nicht das rosa Zuckerwatte Hollywood Kitsch Glück. Das gibt es nicht. Das will ich nicht. Das echte Glück, dass durch seine Ecken und Kanten erst spannend wird und an Wert gewinnt. Das ist mein Glück. Nicht mehr alles sein zu müssen, von dem man denkt, die Gesellschaft erwartet es von einem. Das kann 36. 20 konnte das noch nicht. Ihr fehlte das Selbstbewusstsein, zu sagen: Pfeif auf Konventionen, auf die Erwartungen anderer – ich bin großartig, so wie ich bin.

Habt ihr auch schonmal überlegt, was ihr eurem jüngeren Ich heute sagen würdet? Was würde sie/er wohl antworten?

2 Kommentare

  • WOW ein ganz toller Text. Ich könnte sehr viel Ähnliches meinem 20 Jahre altem ich sagen, nur das ich dann im Jahr 2000 wäre, ist aber Nicht viel um. Danke für die schönen Worte zum nachdenken

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